Montag, 14. April 2008

Durch Südindien mit dem Rucksack

Indien – für viele ein magisch-anziehendes Land, für andere der blanke Horror. Wir wollten uns endlich ein eigenes Bild machen und reisten für 4 Wochen mit dem Rucksack durch Südindien.


Indien ist halb so wild wie befürchtet. Klar, wir kennen von Indien „nur“ die rund 3000 zurückgelegten Kilometer. Alle Regionen nördlich von Bombay kennen wir nicht. Aber all die negativen Dinge, auf die wir uns aufgrund von Reiseberichten anderer und der Lektüre von insgesamt sechs Büchern eingestellt hatten, haben wir weder gesehen noch erlebt. Im Gegenteil. Der Kulturschock blieb (leider?) aus.

So seltsam es klingt: nie zuvor habe ich mich auf einer Reise so entspannt! Einer der Hauptgründe war mit Sicherheit die Ruhe. Ruhe? Ist Indien nicht Lärm pur? Wir bahnen uns durch den Straßendreck, an Plastiktüten-fressenden heiligen Kühen vorbei, eingehüllt in einer Wolke aus diesigem Smog. Millionen von Menschen, alle gleichzeitig unterwegs und immer on the road. Ein irrer Verkehr. Alle und alles kreuz und quer ohne jegliche Regeln und mit einer unvorstellbaren Geräuschkulisse aus knatternden Zweitaktern, dröhnenden, wummernden LKWs und stakkato-hupenden Autorikschas. Im Gegensatz zu Deutschland klebt nicht etwa „Baby an Bord“ auf der Rückseite der Fahrzeuge, nein, viel wichtiger: die unüberhörbare Aufforderung, der alle non-stop nachkommen: SOUND HORN! Doch: im ganz großen Unterschied zu Spanien: Ab 22 Uhr werden UEBERRALL auch in Großstädten mit einer Millionen Einwohnern die Bürgersteige hochgeklappt und es herrscht Grabesruhe. Wie erholsam! 4 Wochen lang jede Nacht durchschlafen zu können!!!!

Die Inder sind ein lustiges Völkchen: Die täglich wiederkehrende Show „Wir sind berühmte Stars aus dem Westen“ erleben wir gleich am ersten Nachmittag. Wir versuchen gerade dem Straßenlärm in Bangalore in einem Stadtpark zu entfliehen, als wir von einer Gruppe junger Inder gesichtet werden. „Where are you from? Picture, please!“ Binnen Sekunden sind wir umringt, umzingelt und eingekesselt von etwa 15 indischen Studenten, von denen jeder ein Foto fordert, mit sich, uns und allen, versteht sich. Wir posieren stoisch lächelnd. 4 Wochen später sind wir mit Sicherheit in nahezu allen Fotoalben Indiens verewigt (und wer weiss, wo wir im Internet überall auftauchen…).


Wenn die Leute keine Kamera greifbar haben, kommt das Fotohandy zum Einsatz. Sofern gar nichts dabei ist, erfolgt die Kontaktaufnahme so: Hello, what`s your name? Where you frrrom? Auf unsere Antworten kommt meist ein Kichern und damit hat sich der Englischwortschatz und die Konversation erschöpft. Aber alle sind glücklich.

Nach zwei Tagen in Mysore (traumhaft lohnenswerter Palast!) und einem Tag Relaxing in einer Ayurveda-Klinik bereisen wir den südlichsten Bundesstaat Kerala.


Der Staat wird seit über 50 Jahren kommunistisch regiert und die Leute wissen, warum sie bei den (freien) Wahlen für die Fortsetzung der Regierungsarbeit stimmen: Der Staat hat das höchste Bildungsniveau, die höchste Lebenserwartung und die geringste Kindersterblichkeit in ganz Indien.
Auch die Landschaft hier ist anders als der Rest Indiens: Ein dichtes Netz aus breiten Flüssen, glänzenden Kanälen und dunkel-dreckigen Lagunen windet sich vorbei an saftig-grünen Plantagen. Zu Recht spricht man hier auch vom Venedig Asiens. Vermutlich könnte die Gegend ganz nett sein, doch leider ist es nicht nur unvorstellbar heiss und stickig, sondern der Himmel mit tiefen Wolken verhangen. Dennoch (wenn man schon mal hier ist…) mieten wir uns für 24 Stunden ein riesiges Hausboot, mit dem wir allein mit der 3-köpfigen Crew aus Kapitän, Koch und Maschinist durch die Kanäle tuckern. Abends und nachts schüttet es aus Eimern.


Nach 10 Tagen Regen fliehen wir von Trivandrum gen Norden. Wir liegen auf unseren schmutzig-blauen Pritschen im Nachtzug der Sleeper-Class und versuchen etwas Schlaf zu finden. Mit lautem, völlig unmelodischem, schiefem Summen übertönt der junge Typ auf der Liege über mir nahezu das röchelnde Schnarchen des Alten gegenüber und gibt damit eine weitere amüsante Eigenart der Inder zum Besten: Die berühmten Walkman-Singers! Aber, Oropax wirkt. Nur leider nicht gegen den Anblick der Kakerlake, die gerade 10cm entfernt von meiner Nase die Wand entlang saust! Die Sleeper-Großraumwägen sind die Liegewagen für die breite Bevölkerung. Klar, es gibt auch „bessere“ Klassen. Die unterscheiden sich im Wesentlichen aber nur durch den hohen Preis und die Temperatur. Zweimal hatten wir Pech, die Sleeper-Klasse war bereits ausgebucht und wir mussten im Air Conditioning-Waggon mit Jacke und eingewickelt in die ausgeteilten Decken zitternd bis zur Ankunft verharren.

Endlich, die Ankunft in Calicut. Hier hält sich nur selten ein Tourist auf. Sämtliche Augen heften sich auf uns. Allerorten werden wir angestarrt. Wir kommen uns vor, als hätten wir grüne Gesichter und Antennen auf dem Kopf. Aber, die Sonne lacht: ein gutes Omen für zwei Tage Nationalpark. Klappernd kriecht der völlig überladene Bus die Serpentinen hinauf in die Bergwelt. Wir haben wirklich Glück. Nicht nur, dass das Wetter endlich mitspielt und wir die angenehme Erfrischung mit (nur) knapp 30 Grad genießen, sondern, vor allem, dass die Tierwelt sich blicken lässt. Neben verschiedenster Arten von Rotwild, Gnus, Affen, Giant-Squirrels, Pfauen und anderem Federvieh entdecken wir plötzlich im Dickicht ein graues Riesen-Schlappohr. Ein Rüssel schnaubt in unsere Richtung und unser Fahrer des Jeeps wird sichtbar nervös. Mit entsprechendem Sicherheitsabstand halten wir an. Aussteigen streng verboten. Und auf einmal kreuzt eine Elefantenfamilie mit Baby unseren Weg. Wow. Andächtig beobachten wir das Schauspiel.

Der Ventilator über unserem Bett wirbelt auf höchster Stufe und lässt sich nicht runterregulieren. Nicht nur, dass ich wegen des Luftzugs den Schlafsack über meine Ohren ziehe, nein ich versuche auch nicht hinzuhören, wie sich der Inder neben unserem Bett stundenlang die Seele aus dem Leib kotzt. Der arme Kerl. Zum Glück haben wir ihn durch die Pappwand zum Nachbarzimmer nicht gesehen. Nach zwei schlaflosen Nächten und einer erschöpfenden Wanderung streckt es auch mich dahin. Zurück in Calicut legen wir eine 2-tägige Zwangspause wegen 39 Grad Fiebers ein.

26 Stunden Zugfahrt weiter im Norden erwartet uns ein erneuter, diesmal gar nicht so unangenehmer Zwangsstopp. Wir verbringen einen Sonnentag an der Küste Goas, schlendern den weissen Sandstrand entlang und beobachten die Fischer bei der Arbeit.

Jörg geniesst das pseudo-indische Essen, endlich gibt es was zum Kauen, anstatt des sonst üblichen Gemüsepürees. Wir bestellen extra-scharfes Masala, doch hier ist man zu sehr an den ausländischen Gaumen angepasst. Wo ist die scharfe Sauce aus Chilli und Bethelnuss? Alles schmeckt in Goa irgendwie fad.

Der Anschlusszug einen Tag später bringt uns ins Landesinnere nach Hampi, UNESCO Weltkulturerbe und einer der Höhepunkte jeder Südindien-Reise.


So weit das Auge reicht eine zauberhafte Märchen-Landschaft aus Felsen, Feldern und Flüssen gesprenkelt mit tausenden hinduistischen Tempeln. Hier könnte man locker eine Woche verbringen, doch leider drängt die Zeit. Wir wollen noch ein anderes Highlight sehen: Nasik.
Nasik ist eine der heiligen Städte, in der alle 12 Jahre der größte religiöse Menschenauflauf der Erde stattfindet: Die Kumbh Mela mit unzähligen Millionen Pilgern. An einem normalen Tag ist der Ort vergleichbar mit Varanasi/Benares, DER heiligen Stadt am Ganges, von der ihr vielleicht schon gehört habt. Auch hier, in Nasik liegt der monotone Gesang der betenden Mönche in der Luft und vermischt sich mit allerlei seltsamen Gerüchen. Hunderte fromme Pilger reinigen im verseuchten Wasser ihre Seelen und hier Sterbende gelangen direkt ohne Umwege von Wiedergeburten ins Nirwana. Sadhus, die streng asketisch lebenden hinduistischen Mönche, bewachen die Tempel oder meditieren in kleinen Kapellen. Was hier -wohl im Gegensatz zu Varanasi- fehlt, sind der Gestank und die Touristen-Abzocke.
Klar, wir sind hier allein. Wie in fast allen der von uns aufgesuchten Städte begegnen wir pro Tag nur einem anderen weißen Touristen. Hier sind die Inder noch nicht von den negativen Auswirkungen des Tourismus verdorben, drängen einem weder ungefragte Führungen noch Andenken auf und verlangen korrekte Preise. Allerdings, keine Abzocke heisst natürlich auch Feilschen bis zum Umfallen, was vielen westlichen Touristen vielleicht zu mühsam oder weil sie denken, „Nur ein Euro für das Taxi, wie billig!“ Dass sie aber in Wirklichkeit den vielfachen Preis zahlen und damit zu einer Verstärkung der sozialen Ungerechtigkeit beitragen und dazu die Preise für Touristen versauen ist ihnen nicht bewusst. Wir ziehen es daher immer vor, touristisch hochfrequentierte Orte zu meiden und uns „off the beaten track“ zu bewegen. Dank Lonely Planet wussten wir, was alles kosten durfte. Und da in Indien ja Zeit NICHT Geld bedeutet, kann so eine Diskussion um eine 15-minütige Taxifahrt durchaus 15 Minuten dauern....

Unser Fazit:
Wenn man noch nie in einem Entwicklungsland gereist ist, oder gar die Indienreise, die erste Erfahrung ausserhalb Europas ist, kommt leicht ein Schock auf. In unseren Landen verbindet man mit Indien eher Attribute eines Schwellen- oder gar Industriestaates. High-tech-Computerindustrie, Atombombe etc. Aber, und das ist wahrscheinlich vielen nicht bewusst (war es uns auch nicht) Indien ist ein Entwicklungsland, welches unglaublich viel gemeisam hat mit Afrika und Südamerika. Indien ist eine Frage der persönlichen Wahrnehmung basierend auf den Erfahrungen und Erlebnissen, die man VOR der Indienreise gesammelt hat.

Also, wenn Ihr Lust auf Indien habt, aber vor den negativen Eindruecken zurueckschreckt: fahrt nach Südindien!

7 Kommentare:

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